19920 Obraz6 (14)

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ben und sich etwa ein ahnlichcs Bild von ihm machen wie ich, und nun haben sic da dieses geschmacklose, ver-fśilschte, versiiGte Bild stehen und finden es herrlich und merken gar nicht, daG der Geist dieses Bildcs gcnau das Ge-genteil von Goethes Geist ist. Sic finden das Bild wunder-bar, und meineiwegen kónnen sie das ja auch - aber fiir mich ist dann auf einmal alles Vertrauen zu diesen Leuten, alle Frcundschaft fur sie und alles Gefiihl von Verwandt- | schaft und Zusammengehóren aus und vorbei. Ubrigens war die Freundschaft ohnehin nicht groB. Also da wurde ich wiitend und traurig und sah, daG ich ganz allein war und niemand mich verstand. Begreifen Sie?“

„Leicht zu begreifen, Harry. Und dann? Hast du ihnen das Bild an die Kópfe gehauen?"

„Nein, ich habc geschimpft und bin fortgelaufen, ich wollte nach Hause, aber -

„Aber da ware keine Mama gewesen, um den dummen Bu-ben zu trósten oder auszuschelten. Nun. ja, Harry, du tust mir beinahe leid, du bist ein Kindskopf ohnegleichen." GewiG, das sah ich ein, wie mir schien. Sie gab mir ein Glas Wein zu trinken. Sie war in der Tat wie eine Mama mit mir. Zwischenein aber sah ich fiir Augenblicke, wie schón und jung sie war.

„Also“, fing sie dann wieder an, „also der Goethe ist vor hundert Jahren gestorben, und der Harry hat ihn sehr gern, und er macht sich eine wunderbare Vorstellung von ihm, wie er ausgesehen haben mag, und dazu hat Harry auch das Recht, nicht? Aber der Maler, der auch fiir den Goethe schwarmt und sich ein Bild von ihm macht, der hat kein Recht dazu, und der Professor auch nicht, und iiberhaupt niemand, denn das paGt Harry nicht, er vertragt das nicht, er muG dann schimpfen und davonlaufen! Wenn er klug ware, so wurde er uber den Maler und den Professor ein-fach lachen. Wenn er verriickt ware, wurde er ihnen ihren Goethe ins Gesicht schmeiGen. Da er aber bloG ein kleiner Bub ist, lauft er heim und will sich aufhangen. - Ich habe deine Geschichte gut verstanden, Harry. Es ist eine komi-sche Geschichte. Sie macht mich lachen. Halt, trink nicht so rasch! Burgunder trinkt man langsam, er macht sonst zu heiG. Aber dir muG man alles sagen, kleiner Bub.“

Ihr Blick war streng und mahnend wie der einer sechzigjah-rigen Gouvernante.

„O ja“, bat ich zufrieden, „sagen Sie mir nur alles."

„Was soli ich dir sagen?"

„Alles, was Sie mógen."

„Gut, ich sagę dir etwas. Seit einer Stunde horst du, dafi ich du zu dir sagc, und du sagst immer noch Sie zu mir. Immer Lateinisch und Griechisch, immer móglichst kompliziert! Wenn ein Madchen du zu dir sagt und sie dir nicht zuwider ist, dann sagst du auch du zu ihr. So, da hast du etwas zuge-lernt. Und zweitens: seit einer halben Stunde we i fi ich, dafi du Harry heifit. Ich weifi es, weil ich dich gefragt habe. Du aber willst nicht wissen, wic ich heifie."

„O doch, sehr gem will ich es wissen."

„Zu spat, Kleiner! Wenn wir uns einmal wiedersehen, kannst du wieder fragen. Heut sag ich’s nicht mehr. So, und jetzt will ich tanzen."

Da sie Miene machte, aufzustehen, sank plótzlich meine Stimmung tief, ich bekam Angst, sie wiirde gehen und mich allein lassen, und dann wiirde alles wieder, wie es vorher gewesen war. Wie ein yoriibergehend verschwundener Zahnschmerz plótzlich wieder da ist und wie Feuer.brennt, so war in einem Augenblick die Angst und das Grauen wieder da. O Gott, hatte ich denn vergessen kónnen, was auf mich wartete? War denn etwas anders geworden?

„Halt", rief ich flehend, „gehen Sie - geh nicht fort! Natiir-lich kannst du tanzen, soViel zu willst, aber bleib nicht lange fort, komm wieder, ko mm wieder!"

Lachend stand sie auf. Ich hatte sie mir stehend grófier ge-dacht, sie war schlank, aber nicht grofi. Wieder erinnerte sie mich an jemand - an wen? Es war nicht zu finden.

„Du kommst wieder?"

„Ich komme wieder, aber e$ kann eine Weile dauern, eine halbe Stunde oder auch eine ganze. Ich will dir was sagen: mach die Augen zu und schlaf ein wenig; das ist, was du nó-tig hast."

Ich machte ihr Platz, und sie ging; ihr Róckchen streifte meine Knie, im Gehen blickte sie in einen runden, winzig kleinen Taschenspiegel, zog die Augenbrauen hoch, wischte mit einem winzigen Puderquastchen iiber ihr Kinn und verschwand im Tanzsaal- Ich blickte um mich: fremde Gesichter, rauchende Manner, yerschiittetes Bier auf dem

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